Von parteipolitischen Erwägungen liberaler
Kreise ausgehend, unterstützt durch Wühlarbeit verschiedener Sekten und
begünstigt durch den übertriebenen Machtanspruch Bismarcks, begann in
Preußen kurz nach 1870 jene unselige Entwicklung, die mit dem Wort
„Kulturkampf“ umschrieben wird. Die im gleichen Jahre durch das 1.
Vatikanische Konzil beschlossene Unfehlbarkeitsdogmen gaben den
eigentlichen Anstoß. Ziel war die Zurückdrängung des Katholizismus und
eine vom Papst losgelöste Nationalkirche. Der Abbruch der diplomatischen
Beziehungen zum Hl. Stuhl bildete den ersten Schritt. Eine Reihe von
Gesetzten (Kanzelparagraph, Mai-, Jesuiten-, Brotkorbgesetzt) sollte die
katholische Kirche erniedrigen und beim Volk in Misskredit bringen. Es
kam in den Jahren bis 1875 zu einer laufenden Verschärfung, einer
Steigerung der Maßnahmen. Presse und Zeitschriften überboten sich mit
Schmähartikeln; eine persönliche Freiheit gab es in Glaubenssachen nicht
mehr; Hausdurchsuchungen, Spitzeldienste und Denunziationen waren an der
Tagesordnung; Ordenshäuser verwaisten, Schulen mussten schließen;
Prozesse häuften sich, Pfarrer und Bischöfe, die sich nicht unterwarfen,
wurden eingekerkert, verjagt oder verbrannt. Es herrschte eine
unvorstellbare Gewissensnot.
Kaum eine
katholische Gemeinde in preußischen Landen blieb von den Auswirkungen
dieser unerquicklichen Entwicklung verschont. Gerade in ländlichen
Gebieten, in kleinen Orten hatte die Bevölkerung am meisten zu leiden;
freilich am Ende auch deswegen, weil sie besonders treu zum Klerus
hielt, allem Reglement abhold war und die ihr widersinnig erscheinenden
Anordnungen vielfach ignorierte.
Auch in Rübenach,
einer damals noch sehr in sich geschlossenen und ganz katholischen
Ortschaft, gab es einen Zusammenstoß mit der vorgesetzten Behörde, die
heute allerdings in Vergessenheit geraten sein dürfte.
Den eigentlichen
Auseinandersetzungen ging sogar noch eine Episode voraus, mit dem
Kommenden allerdings in keinem Zusammenhang stehend, die ein
bezeichnendes Licht auf die Situation der Zeit warf und den Bürgern wohl
klarmachte, woher der Wind wehte.
Die Katholiken von
Rübenach wollten 1873 eine Versammlung abhalten, wahrscheinlich um ihre
Lage zu besprechen und einen gemeinsamen Standpunkt in den Wirrnissen
jener zeit zu finden. So sehr man sich auch bemühte, die Wirte waren
nicht bereit, ihren Saal zur Verfügung zu stellen. Sie hatten Angst vor
Repressalien. Die Zusammenkunft fand schließlich in dem zu dieser Zeit
leer stehenden Eltzer Burghaus statt, wurde jedoch von dazu eigens
abgeordneten Gendarmen überwacht, sieben an der Zahl. Im gleichen Jahr
noch begann in Rübenach die eigentlichen Kulturkampfgeschehnisse:
Matthias Eberhard,
der Bischof von Trier, ernannte 1873 den in Trier gebürtigen Neupriester
Josef Reis (geb. 18. 3. 1847, geweiht 30. 8. 1873) zum Kaplan von
Rübenach, bzw. der offiziellen Version nach: er sandte ihn zur Aushilfe.
Vom Landrat, dem der Bürgermeister hatte Meldung machen müssen, kam die
Order zurück mit dem Inhalt, der Neupriester Reis wäre nicht beim
Oberpräsidenten angemeldet und es seien ihm deshalb alle Amtshandlungen
verboten. Der Rübenacher Kirchenrat verweigerte die Annahme dieses
Schreibens, das der Ortsvorsteher überbringen sollte.
Kurz darauf machte
der Bürgermeister nach Koblenz Meldung, Reis zelebriere täglich im
Filialort Bubenheim und spende auch die Taufe. Er beantragte Bestrafung.
Jetzt wurde der
Rübenacher Lehrer zur Zeugenvernehmung vorgeladen. Er erschien jedoch
nicht; er war „erkrankt“. Der Bürgermeister versuchte nun einen anderen
Weg: Er verpflichtete die Lehrperson von Rübenach und Bubenheim, ihm
über ihre Beobachtungen schriftlich Meldung einzureichen, und zwar
jeweils mittwochs und samstags. Die Lehrer lehnten das entschieden ab
und erschienen auch nicht mehr zur neuerlich anberaumten Vernehmung; die
Lehrerin gab als Grund an, „wegen schlechten Wetters“ könne sie nicht
vor die Tür; sie verspottete also die Schergen noch, die sich für das
schlechte Spiel hergaben. Nur der Lehrer von Bubenheim kam der
Aufforderung nach. Als er aus dem Amtsgebäude ging und nach Hause
wollte, empfingen ihn die Rübenacher Schulkinder und riefen ihm durch
die Straßen allerlei Frechheiten nach. Inzwischen hatte auch die
Gerichtsmaschinerie ihren Lauf begonnen. Kaplan Reis wurde im Dezember
1873 zu 50 Reichstalern Strafe oder 14 Tagen Gefängnis verurteilt, am
16. Januar 1874 gar zu 20 Tagen. Da bei ihm Geld nicht beizutreiben war,
eine Pfändung keinen Erfolg hatte – seine Möbel gehörten ihm nicht,
lautet es da im Bericht – , musste er in Koblenz seine Gefängnisstrafe
absitzen.
Die Regierung hatte
jedoch weitere Sorgen: Durch den Gemeindebürgermeister ließ sie eine
Verfügung bekannt machen, dass ein feierlicher Empfang des Delinquenten
bei seiner Rückkehr aus dem Gefängnis verboten sei und drohte ferner
eine Strafe für den Fall an, wenn zugunsten des gesperrten Geistlichen
kollektiert werde. Der Gemeindevorsteher bat den Pastor dringlichst, den
Bürgern von jedem Empfang abzuraten.
Die Rübenacher
beschlossen jedoch etwas anderes: Eine Bürgerdeputation sollte den
Geistlichen am Gefängnis begrüßen. So geschah es auch am 22. März und
Gutsbesitzer Caspers aus Bubenheim brachte ihn mit seinem Wagen nach
Rübenach. Vier weiß gekleidete Mädchen erwarteten den Kaplan am
Pfarrhaus und geleiteten ihn in die Kirche. Hier war die ganze Gemeinde
versammelt. Pfarrer Johann Jodocus Schnorfeil hielt ein Amt mit einer
packenden Ansprache. Ruhe herrschte jedoch nicht lange: Am 18 Mai 1874
wurde Kaplan Reis erneut verhaftet. Er kehrte erst wieder am 19.
September nach Rübenach zurück. Einige Tage vorher, am 8. September. War
gegen ihn eine Anordnung ergangen, die ihn des Landes verwies. Er störte
sich jedoch nicht daran, sondern ging in Rübenach weiter seinen
Pflichten nach. Am 6. Oktober 1874 wurde Reis aus dem Regierungsbezirk
Koblenz ausgewiesen, am 5. Januar 1875 der Staatsangehörigkeit für
verlustig erklärt und erhielt einen Ausweisungsbefehl aus dem
Reichsgebiet. Die Ausweisung wurde zwar nochmals kurz verschoben, aber
etwas später doch ausgeführt. Kaplan Reis ging zuerst als
Privatgeistlicher in das Luxemburgische Land, schließlich dann nach
Belgien.
Erst im Jahre 1884
wurde die Strafvollstreckung gegen den Kaplan eingestellt. Er bekam 1887
eine Stelle als Rektor im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in
Olewig.
Es waren ihm nur
wenige Jahre irdischen Wirkens bestimmt. Er starb im Jahre 1890 in der
vorgenannten Stellung, nur 43 Jahre alt. Die Entbehrungen und die
Verbannung, mehr wohl noch der Gram über die erlittene Schmach und die
ungerechte Behandlung, hatten seine Gesundheit vorzeitig untergraben.
Einige Rübenacher Bürger waren bei seinem Begräbnis anwesend und
erwiesen ihm die letzte Ehre.
Wie fast überall, so
hatte der Staat, auf längere Sicht gesehen, mit seinen Repressalien das
Gegenteil von dem erreicht, was er bezwecken wollte. Zwar kam es im
Jahre 1876 zu einem Stillstand und zu Ausgleichsverhandlungen, wiewohl
es noch lange Jahre dauern sollte, bis wieder Frieden einkehrte. Ein
großer Teil der Gesetze wurde allerdings auch dann nicht wieder
rückgängig gemacht.
In jedem Fall war es
die feste und unerschütterliche Haltung, der passive Widerstand der
Bevölkerung, die Bismarck zur Umkehr zwangen. Das gläubige Volk schloss
sicher enger denn je zusammen. Es erwuchs ein starkes
Gemeinsamkeitsgefühl und es kam zu einer Erstarkung der Kräfte, die sich
gegen das Unrecht gewandt hatten.
So war es auch in
Rübenach. Schon bei der Reichswahl 1874 gab es 278 Zentrumsstimmen neben
vier liberalen. Bei späteren Wahlen war das Verhältnis noch krasser. Es
wurden nie liberale Wahlmänner gewählt. Die Bürger von Rübenach waren
ihrer Überzeugung treu geblieben.
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