Die Kapitulation von Rübenach 1945

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von Hans Gappenach

Rübenach hat mit 170 Menschen (gefallene und vermisste Soldaten an den Fronten des 2. Weltkrieges sowie durch Bomben und Luftminen getötete Zivilisten) einen hohen Blutzoll entrichtet.

Die letzten Monate vor Kriegsende waren in der Eifel und Westerwald durch große Schrecken innerhalb der Bevölkerung gekennzeichnet, da von Hitlers Vergeltungswaffe (V 1; „Eifelschreck“) ausgemacht hatten und Bombardierungen zu erwarten waren. Über Rübenach hinweg “tuckerten“ diese „ersten Raketengeschosse der Militärgeschichte“, einen unheimlichen Schweif hinter sich herziehend, gen London. Zum Schutz dieser Abschussrampen, aber auch zum Schutz der Koblenzer Brücken, waren, als großer Gefahrenpunkt für den Ort, in und um Rübenach zahlreiche Flakbatterien stationiert.

Noch größer wurden die Nöte, als die Abschussrampen beweglich bzw. transportabel geworden waren und die V 1 zeitweilig aus dem Rübenacher Wald abgefeuert wurde. Aber alle diese letzten Aufbäumversuche (schließlich auch die V 2) konnten bekanntlich das Kriegsglück nicht mehr wenden.

Das in den Tagen der Kapitulation dem Ort größere Opfer oder gar eine Katastrophe erspart blieb, dürfte vor allem dem damaligen Bürgermeister Anton Alsbach zu verdanken sein. Der heute über Achtzigjährige (Stand 1975) schildert nach seiner Erinnerung in einem persönlichen Gespräch die heiklen Stunden so:
Die deutschen Truppen waren in den ersten Märztagen 1945 vor den nachdrängenden Alliierten über den Rhein zurückgeflutet. Soldaten gab es in Rübenach – außer einem, vom dem noch die Rede sein wird – nicht mehr. Der Volkssturm trat nicht mehr in Tätigkeit; er hatte schon nichts gegen das Öffnen der die Straßen verbarrikadierenden Panzersperren unternommen bzw. dabei sogar noch geholfen.

8. März 1945. Ab etwa 2 Uhr nachmittags lag Rübenach unter Artillerie- und Panzergranatfeuer. Mit noch größerer Heftigkeit schossen andere Batterien über den Ort hinweg. Die Menschen lebten in den Kellern. Aus Westen und Süden waren die Truppen herangekommen und vom Rosenborn und vom Bassenheimer Weg her in den Ort gedrungen. Punkt 4 Uhr nachmittags erschien der erste Panzer in Rübenach; es war das Kommandantenfahrzeug und hielt gegenüber „Bäckandunne“ in der Nähe vom „Buur“. Über einen Lautsprecher, den man hätte kilometerweit hören können, vernahm man plötzlich: „Bürgermeister raus! Bürgermeister raus, sonst wird das Dorf in Schutt und Asche gelegt!“ Bürgermeister Alsbach, der sich in seinem Dienstzimmer in der Alten Schule aufhielt, band ein weißes Tuch an einen Besenstiel, schritt die Backesgasse herunter und machte bei dem Kommandanten die Meldung, dass er das Dorf kampflos übergebe, worauf augenblicks und in Sekundenschnelle das Feuer eingestellt wurde.

… Kommandant, Bürgermeister und ein hinzugetretener Dolmetscher gingen dann gemeinsam aufs Dienstzimmer, wo ein Ortsplan mit allen Straßen gezeichnet und jeder Straße einen Panzer zugeteilt wurde, dem der Bürgermeister einweisen musste. Diese Aktion zog sich bis halb sieben hin. Dann wurde Herrn Alsbach der Auftrag erteilt, im Ort bekannt zu machen, dass Rübenach zum Kampfgebiet erklärt sei und niemand die Straßen betreten dürfe, ausgenommen in der Zeit von 11 – 1 Uhr zum Einkaufen; wer sonst außer Haus erscheine, werde erschossen. Herr Alsbach wollte den Ausscheller rundschicken, worauf ihm bedeutet wurde: „Nein, sie müssen gehen selber in jedes Haus, selber mit Dolmetscher!“ Nun begann also diese Aktion. Nachdem man beim 8. Haus war, waren auch 8 Flaschen Wein geleert und die Fortsetzung unmöglich. Alsbachs Vorschlag, je einen Mann aus jeder Straße zur Übernahme und Weitergabe der Meldung zu beordern, wurde angenommen.

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Bei diesen Verhandlungen kam plötzlich aus stockdunkler Nacht der Ruf: „Ist hier der Bürgermeister von Rübenach? Ich war der Meinung das unsere Soldaten zurückkämen!“ Es war ein deutscher Flaksoldat mit Karabiner und einem nagelneuen Fahrrad. Der Dolmetscher ergriff beides und schlug’ s auf dem Pflaster in tausend Teile. Beim Landwirt Peter Müller, Bubenheimer Straße, beschlagnahmte er eine Leine, fesselte den Gefangenen und brachte ihn zum Kommandanten, der im Hotel „Zum rotem Ochsen“ Quartier bezogen hatte.

Es war nunmehr 1 Uhr nachts. Der Bürgermeister bat, nach Hause gehen zu können und um Legitimation oder Ausweis. Darauf wurden zwei Mann mit aufgepflanztem Seitengewehr herbei befohlen, um ihn bis an seine Haustür zu begleiten. Unterwegs am Gasthaus „Zum Schiffchen“ hob einer der Soldaten den Kanaldeckel hoch und ließ den nahezu 2 Meter großen Mann in die Kanalöffnung hinab, worin er bis zum Kopf verschwand. Ein Soldat hielt mit aufgepflanztem Seitengewehr neben dem offenen Loch Wache, während der andere in die genannte Wirtschaft retirierte.

So blieb die Lage bis viertel vor fünf; dann wurde er herausgezogen, weitergeführt und zu seiner Haustür hineingestoßen.

Am anderen Tag, morgens um 8 Uhr, machte Alsbach von dem Vorfall Meldung beim Kommandanten, der ihm mitteilte, dass er die beiden Soldaten schwer bestrafe.

Inzwischen hatten die Truppen Koblenz erobert, wobei Rübenach nochmals unter Beschuss lag. Nach 3-4 Tagen wurden die Kampftruppen abgelöst und der Ort bekam einen ständigen Kommandanten. Er beschlagnahmte das Haus von Jakob Zerwas (im Volksmund „Alscheids Jakob“, Jahnstraße – heute Florianstraße) für seine Kommandantur. Nun gab’ s viel Arbeit. Als erstes verlangte der Kommandant 50 Betttücher, ferner – vielleicht ein Zeichen für die besondere Sauberkeit der Amerikaner – 30 Papierkörbe, die kaum im Dorf aufzutreiben waren und Wein, Wein, Wein. Es gab Requirierungen und Registrierungen und nach  etwa 5 Tagen hatte sich die Lage in Rübenach derart normalisiert, dass die Bevölkerung wieder ihr gewohntes Leben führen konnte.

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An dieser Stelle muss noch ein Abschnitt eingeflochten werden, der sich mit einer länger zurückliegenden Sache beschäftigt, die aber jetzt der Situation des Dorfes sehr zustatten kam:

Im Sommer 1944 waren über Rübenach mehrere Flugzeuge abgeschossen worden und 7 tote Soldaten (2 Engländer und 5 Amerikaner) zu begraben. Laut der Verordnung über den „totalen Krieg“ mussten derartige Leichen am Ort und Stelle verscharrt werden. Bürgermeister Alsbach jedoch beerdigte sie auf dem Rübenacher Friedhof, ließ von Kriegsgefangenen Polen die Gräber schaufeln und bestattete unter Polizeiaufsicht die in Kisten und Säcke verpackten Körper, indem er einige Gedenkworte sprach und am Grab ein Vaterunser betete. Er hatte vorher eine Skizze angefertigt über die Gräber, darauf Namen und Erkennungsnummern eingetragen usw.

Diese „heimliche Beerdigung“ kam der Parteileitung zu Ohren; darauf trat in Rübenach ein hohes Parteigericht zusammen mit dem Gauleiter an der Spitze und Alsbach wäre sicherlich nicht am KZ vorbeigekommen, wenn nicht der Kreisleiter  Cattepoel für ihn eingetreten und so lange (unter Aufbietung aller Kräfte und Gründe) für ihn gesprochen hätte, bis die Sache schließlich auf sich beruhen blieb.

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Den Amerikanern war die beschriebene Aktion des Bürgermeisters bald irgendwie zu Ohren gekommen und nicht zuletzt ist es diesem Umstand – der also seinerzeit gezeigten menschlichen Haltung Alsbachs – zu verdanken, dass das Besatzungsregime für Rübenach sehr glimpflich verlief. Mit der Verwaltung hatte sich bald ein geradezu freundschaftliches Verhältnis herausgebildet, was sich vor allem in der Versorgung Rübenachs sichtbar niederschlug. Während die Dörfer rundum hungerten, wurden in Rübenach jedem Bäcker wöchentlich 30 DZ Mehl zugeteilt, die die Rübenacher Landwirte in Ehrenbreitstein in Empfang zu nehmen und zu transportieren hatten. Rübenach war während dieser Monate gut versorgt.

Bürgermeister Alsbach blieb bis Ende April im Dienst und stellte  dann auf eigenen Wunsch sein Amt zur Verfügung. An die Stelle der Amerikaner traten nun französische Besatzungstruppen, deren politische Einstellung (alle aus der Resistance kommend) allgemein bekannt war. Dennoch: Während die alten Bürgermeister allerorten mancherlei Repressalien erdulden mussten, blieb Alsbach weitgehend von allem verschont. Zwar hatte er einige Schikanen und denuntiatorsche Anfechtungen zu bestehen, die allerdings zu banal sind, das man sie hierher schriebe, es sei denn, man sähe die Verurteilung zu 2000 Mark Geldstrafe und eine mehrwöchige Ausgangssperre wegen einer Lappalie, für die er nicht die geringste Verantwortung hatte, als schwerwiegend an. Er blieb ansonsten unbehelligt.

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Wenn es dazu noch eines Schlusssatzes bedürfte, dann wäre es vielleicht dieser: Menschlichkeit zahlt sich immer irgendwie aus; zwar verlor auch Bürgermeister Alsbach im Krieg einen Sohn, aber vor dem allerschlimmsten Unglück blieb er und seine Familie bewahrt. Denn größten Gewinn dürften die Rübenacher Mitbürger erlangt haben durch sein menschliches Verhalten, seine in stillen Stunden getroffene Gewissensentscheidung, dem Amtseid getreu und wiederum „untreu“.
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