von Udo Liessem
Ein Pfarrhaus wurde für Rübenach 1656 erstmalig erwähnt. Der Neubau von 1680 war 1832 renovierungsbedürftig und deshalb sollten 1835 Reparaturen „unter Zuziehen des K(öniglichen) Bau Inspectors v. Lassaulx von einem tüchtigen und zuverlässigen Handwerker“ vorgenommen werden. Da dieses Vorhaben unterblieb, wohl weil es zu unrentabel gewesen wäre, wurde am 28. Januar 1839 beschlossen, das Pfarrhaus auf Abbruch zu verkaufen, was füglich bedeutet, dass ein neues errichtet werden musste.
Als Architekt gewann man in Johann Claudius Lassaulx einen der renommiertesten Baumeister seiner Zeit, der außerdem zu den am meisten beschäftigsten Baukünstler gehörte. Sein Oeuvrekatalog liegt, was seine Profanbauten betrifft, noch nicht vor. Mit dem Werke von Schwieger ist erst ein Anfang gemacht.
In der kunsthistorischen Literatur war immer schon angenommen worden, dass das Rübenacher Pfarrhaus durch den Koblenzer v. Lassaulx (1781 – 1848), 1812 Kreisbaumeister, 1826 „Stadt- und Bezirksbau-Inspector“ (Königlicher Bauinspektor) und gleichzeitig Koblenzer Stadtbaumeister, erbaut worden sei. Dabei stützt man such auf die Baugestalt und die Schmuckformen des Hauses, die typisch den Stil von Lassaulx wiedergeben. Indes gibt es unmittelbare urkundliche Hinweise für die Autorenschaft des Koblenzer Bauinspektors an diesem Pfarrhaus. Das geht u. a. aus einem Schreiben des Königlichen Landrates des Kreises Koblenz, Graf von Boos-Waldeck und Montfort, hervor, das vom 2.Februar 1839 datiert ist. Die Arbeiten für das Pfarrhaus in Rübenach (und Kettig; v. Lassaulx entwarf für beide die Pläne gleichzeitig) wurden am 17. Februar 1839 von Rübenach aus vergeben. Ausführender Baumeister ist Jacob Noertersheuser, Maurermeister aus Dieblich, gewesen, dessen Kostenforderung vom 21. November 1839 durch v. Lassaulx am 26. März 1840 gegengezeichnet worden war. Der Architekt seinerseits reichte die Liquidation unter dem 31. März 1840 ein. Bei einer totalen Bausumme von 2586 Taler 24 Sg 10 Pfg belief sich sein Anteil auf lediglich 21 (!) Taler 21 Sg 8 Pfg.
Wenn v. Lassaulx nicht schon vor dem 28. Januar 1839 mit der Planung des Pfarrhauses beauftragt worden war, was unwahrscheinlich gewesen ist, dann erfolgte der Entwurf für dieses Gebäude innerhalb von nur zwei Wochen (zwischen dem 28. Januar und dem 2. Februar 1839) und der Rohbau war bereits Ende des Jahres fertig. Gleichzeitig aber musste er den Fortgang der Arbeiten an den von ihm entworfenen Kirchen in Güls, Vallendar und Boos/Eifel überwachen. Ebenfalls noch im selben Jahr erfolgte die Inangriffnahme des Turmes der Krufter Pfarrkirche. Und auch das Haus in Koblenz, Schloßstraße 9, liegt zwischen 1839 und 1841. Ob damit alle Planungen bzw. Bauausführungen des Jahres 1839 erfasst sind, ist zweifelhaft, da ja eine Liste aller durch v. Lassaulx geplanten profanen Bauten fehlen.
Die Pfarrhäuser in Rübenach und Kettig erschienen v. Lassaulx so gelungen, dass er sie als Vorbilder für das von ihm geplante Pfarrhaus in Ehrenbreitstein nehmen wollte (Brief vom 11. Oktober 1842), was teilweise auch tatsächlich geschehen ist.
Dadurch, dass in Rübenach das Pfarrhaus um ein Stockwerk erhöht wurde (1904/05) und es keine älteren Ansichten gibt, musste der Urzustand durch Rekonstruktion gewonnen werden. Der Brand des Dorfes 1841 und der damit verbundene Wiederaufbau konnte für diese Sache ausgewertet werden, da , wie an anderer Stelle dargelegt, an vielen Gebäuden des Dorfes die Bauweise v. Lassaulx nachgeahmt wurde und dadurch eine Fülle von Details überliefert ist.
Vorderansicht – ursprüngliche Bausubstanz
Das Pfarrhaus in Rübenach ist ein zweistöckiger, vierachsiger Bau mit Ecklisenen, die das Anwesen auf allen vier Seiten rahmen, verkröpft. Die Obergeschossfenster der Traufseiten stehen auf einem zwischen die Lisenen eingespannten Kaffgesims. Etwas anders sind die Parterrefenster gestaltet, da sie über eigene (gekehlte) Sohlbänke verfügen. Unterhalb des Kranzgesimses liegt eine aus vier Segmentbogen bestehende Blendbogenreihe (Die Scheitelpunkte der Bögen befinden sich auf einer Vertikalen mit den Fensterachsen). Die Bögen erheben sich über profilierten Konsolen. Das reichliche Kranzgesims – heute nicht mehr erhalten, aber durch mehrfache, vereinfachte Nachahmung im Dorf wahrscheinlich gemach – hat in seiner Ausführung dem der durch Lassaulx erbauten Pfarrkirche in Vallendar (1837 – 1841) entsprochen.
Nicht wie üblich die Trauf-, sondern die Giebelseite ist von v. Lassaulx als Schaufront ausgebildet worden. Obwohl der Architekt bei seinen Bauten sehr oft die Giebelseiten stark hervorgehoben hatte (vergl. Besonders die Mädchenschule von St. Castor/Koblenz, später Rheinmuseum), so hat er sie doch nie, außer eben in Rübenach, zur Hauptseite werden lassen; konsequenterweise wurde deshalb auch der Eingang hierhin verlegt.
Seitenansicht – ursprüngliche Bausubstanz
Die folgende Beschreibung beschränkt sich auf die dem Blick frei zugängliche Westseite (da die östliche Seite türlos ist, konnte v. Lassaulx auf die durch die Tür bedingte Vertikale verzichten und entwarf auch für den mittleren Blendbogen des Giebelfeldes eine Rosette, woraus sich natürlich auch ein Rundfenster ergeben musste).
Steht man vor dem Pfarrhaus, so fällt nicht auf, selbst wenn man um das Gebäude geht, dass die Giebelseiten breiter als die Traufseiten sind. Erst das nebeneinander auf der Zeichnung verdeutlicht das (11,10 m mal 11,92 m). Der Westseite liegt eine Konzeption zugrunde, die auf einer Achsensymetrie beruht. Nur die Notwendigkeit zur Anlegung einer Kellertür und eines Entlüftungsfensterchens für die (ehemalige) Küche zwang dazu, in diesen Punkten von der Symetrie abzuweichen. Während Haupteingang und Kellertür die gleichen Rahmung zeigen wie die Fenster, sieht man von dem durch die Konstruktion bedingtem Rundbogenfenster im Giebelfeld ab, nämlich Basaltlavagewände mit leicht ansteigendem Sturz, ist das Küchenfensterchen lediglich eine einfache „Öffnung“ in der Wand. Bei der Rekonstruktion der Fensterrahmen und der Türblätter wurde auf die am häufigsten vorkommenden Formen bei den Bauten von v. Lassaulx zurückgegriffen; außerdem kam wieder der Imitationstrieb bei den nach 1841 im Dorf erstellten Häusern zur Hilfe.
Das besondere an der Giebelwand sind die drei aus den Ecklinsen wachsenden Blendbögen, deren mittlerer überhöht ist. In den beiden äußeren liegen steinerne Rosetten in der Art, dass sie sich den Bogenrundungen anpassen. In dieser prachtvollen Ausführung sind von Lassaulx nie vorher und nie nachher mehr verwandt worden (weder an den Kirchen von Ernst und Nickenich, noch an seinem prachtvollsten Profanbau, der Mädchenschule von St. Castor/ Koblenz. Ihre besondere Wirkung beruht auf dem verschieden-farbigen einheimischen Steinmaterial, das v. Lassaulx zu einem geometrischen Mosaik zusammengefügt hat. Bei dem mittleren Bogen ist das Fenster von verschiedenartigen Steinbändern umfangen; um hier nach unten einen Abschluss zu bekommen, wird diese Zone durch ein (zwischen den Konsolen der Bogenanfänger) eingelegtes Schaumlavaband abgefangen (Schauml. = Krotzen).
Die hohe ästhetische Wirkung des Baues liegt einmal in den wohl abgewogenen Proportionen, zum anderen in der genial gemeis-terten Handhabung der unterschiedlichsten Steinarten: Bruchstein (in Größe, Struktur und farblicher Nuancierung sorgfältig ausgesucht) für die Wandflächen – Basaltlava für Sockel, Gewände, Kaffgesims, Treppenstufen und Konsolen – Schaumlava für Linsen und Blendbögen – Tuff für das Kranzgesims und Tuff, Schaumlava und Bruchstein für die Rosetten.
Auf der Giebelseite kommen die unterschiedlichen Farbgebungen deutlich zum Vorschein. Gut zu erkennen auch die nachträgliche Aufstockung von 1904/05 Foto Herbert Hennes
Nach seinen Proportionen – besonders bei der Traufseite – ist das Pfarrhaus klassizistischer Tradition verpflichtet (vergl. Auch die Gestaltung der Fenster), doch setzen die Schmuckelemente und die Details völlig andere Akzente, die dem Bau (neu-) romanische Züge verleihen. Zu Recht fordert deshalb Ronig, dass J. C. v. Lassaulx „als der eigentliche Begründer der rheinischen Neuromanik zu gelten habe.
Der Koblenzer Architekt liebte es, seine Bauten immer wieder zu variieren und er behielt ein einmal gewonnenes Grundkonzept, das sich als zweckvoll erwiesen hatte, gerne bei. So ist auch ein großer Teil des Formenschatzes, der Zierelemente, der Gliederung usw., die er in Rübenach benutzt hatte, von ihm schon vorher an anderen Bauten angewandt worden. Eine Grundrisslösung, bei der sich der Bau dem Quadrat nähert bzw. es sogar erreicht, hat v. Lassaulx öfters benutzt, auffälligerweise nur bei Schulbauten, sieht man von der Pfarrscheune in Niederlützingen ab. Die folgenden Bauten weisen alle im Verhältnis von Lang- zu Breitseite eine Differenz auf, der geringer als ein Meter ist: Bell (ursprünglicher Bau) vor 1826; kell, der einzige Profanbau des Koblenzers der quadratisch ist, vor 1834; Niederlützingen, zwischen 1829 – 1831; St. Sebastian, vor 1834; Welling, vor 1834. Nur einmal noch hat v. Lassaulx dieses Prinzip nach dem Bau des Rübenacher Pfarrhauses angewandt, in Mayen; das dortige Schulhaus ist allerdings erst nach seinem Tode – 1849 – errichtet worden. Die Vierachsigkeit findet sich, sieht man von Rübenach ab, ebenfalls bei Schulgebäuden: Stolzenfels, 20er Jahre; Bell (ursprünglicher Bau), vor 1826; Mayen, 1849 und Koblenz, Kastorhof 6, 1817. Vor allem die letztgenannte Schule zeigt engste Verwandtschaft mit dem Pfarrhaus: neben der Vierachsigkeit die Form der Fenster, die Rahmung durch Ecklinsen, das Kaffgesims, der verkröpfte Sockel und die Segmentbogen-reihung unterhalb des Kranzgesimses.
Lassaulx hat also bei der Gestaltung des Rübenacher Pfarrhauses auf einen seiner frühesten Entwürfe, nämlich den des Schulhauses in Koblenz (nicht mit der dortigen Mädchenschule/Rheinmuseum zu verwechseln!) zurückgegriffen. Lediglich das Proportionsschema ist von ihm geändert worden. Auch sonst hat er, wie gezeigt werden konnte, einiges von verschiedenen Schulbauten übernommen.
Der Rundbogenfries und dessen steigende Variante im Giebeldreieck tritt häufig bei v. Lassaulx auf, insbesondere bei den Kirchenbauten, aber auch bei den Profanbauten, so schon an der in den 20er Jahren geplanten Stolzenfelser Schule. Jedoch ist er in der monumentalen Form am Profanbau erst beim Bau der Koblenzer Mädchenschule 1834/35 ausgeführt worden.
„Die durch den Wechsel von dunklem … und hellem … Steinmaterial so reizvollen Rosetten finden erst sehr spät Eingang in die Planung: 1832 an der Westseite der unausgeführten Seminarkirche in Trier; 1834/35 an der Nordseite der Mädchenschule in Koblenz (späteres Rheinmuseum),“ und schließlich 1836 an der Pfarrkirche von Weißenthurm (jeweils an einer Giebelseite). Wie schon gesagt, hat v. Lassaulx diese Schmuckelemente nie mehr so großartig und so „farbig“ angewandt wie an dem Pfarrhaus in Rübenach.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass bei der Planung des Rübenacher Pfarrhauses nur Altbewährtes, nichts Neues zur Anwendung gekommen ist. Das Besondere aber besteht darin, dess des Althergebrachte von Lassaulx aufgearbeitet worden ist, so dass der Rübenacher Bau dennoch keine Kopie seiner eigenen Werke, vielmehr eine gekonnte Neuschöpfung des Koblenzer Architekten verkörpert.
Das hervorzuhebende am dem Bau bildet dessen großartige „Farbigkeit“, die mit der Trierer Seminarkirche begann, schon in der Koblenzer Mädchenschule 1834/35 einen ersten Höhepunkt erreichte, der dann von der Weißenthurmer Kirche 1836 gehalten werden konnte.
Das Rübenacher Pfarrhaus ist zu den Spätwerken von v. Lassaulx zu rechnen. Mit diesen Werken, die sich 1832 andeuten und deren Qualität über das ganze Jahrzehnt gehalten werden, konnte, hatte v. Lassaulx seine reifste Schaffensperiode erreicht, die ihren absoluten Höhepunkt in den beiden Kirchen von Ernst und Nickenich erfuhr. Zu diesen Schöpfungen, die zum Schönsten in der Baukunst der Rheinlande der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert zu zählen sind, bilden die Giebelfassaden des Rübenacher Pfarrhauses einen wichtigen Übergang. Das ist um so höher einzuschätzen, da in diesem Falle v. Lassaulx nur recht bescheidene finanzielle Mittel zur Verfügung standen.
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Quelle Buch „Rübenach eine Heimatgeschichte“